Wir werden lernen müssen, mit der Hitze zu leben

Die Spanierin Ana Vicedo-Cabrera studierte Pharmakologie, Umwelttoxikologie und Epidemiologie. Heute leitet sie die Forschungsgruppe «Klimawandel und Gesundheit», die das OCCR und das Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern gemeinsam ins Leben gerufen haben.

Juni 2017, die Stadt Basel leidet unter Temperaturen um die 35 Grad. Ana Vicedo-Cabrera quält sich doppelt, denn sie steht kurz vor der Geburt ihres ersten Kindes. Verrückt werden, so hat sie das Gefühl, könnte sie ab der unerträglichen Hitze. Ihr Umfeld reagierte mit Staunen. «Als Spanierin bist du doch Hitze gewohnt», bekommt sie immer wieder zu hören.  Doch Ana Vicedo-Cabrera winkt ab: Hitze in Spanien und in der Schweiz sei etwas ganz anderes. «In Spanien sind die Räume praktisch überall gekühlt, da kann man in der Nacht wenigstens schlafen. Wenn es 35 Grad heiss ist, kann niemand ohne Klimaanlagen leben!»

Für Ana Vicedo-Cabrera sind extreme Temperaturen weit mehr als eine Frage des persönlichen Wohlbefindens. Sie hat aus dem Themendreieck Hitze-Klimawandel-Gesundheit ihr Forschungsgebiet gemacht. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit an der Universität von Valencia untersuchte sie Zusammenhänge zwischen Umgebungstemperatur und Frühgeburten. Danach beschäftigte sie sich auf verschiedenen Postdoc-Stellen in Schweden und in der Schweiz mit Fragen rund um die Auswirkungen von Hitze auf die menschliche Gesundheit. Und an der London School of Hygiene and Tropical Medicine, wo sie bis vor kurzem Assistenzprofessorin war, war sie Teil eines grossen internationalen Konsortiums zu  epidemiologische Studie zu Wetter und Gesundheit. Eine Erkenntnis aus einer dieser Studie war: Megacitys mit hoher Luftverschmutzung und grossem Wohlstandsgefälle sind besonders stark von den Auswirkungen betroffen. Die Wahrscheinlichkeit einer durch Hitzefolgen erhöhten Sterblichkeit ist gross. Mit anderen Worten: Die Armen zahlen einen höheren Preis für die Hitze als die Reichen.

Mit ihrer eigenen Forschungsgruppe, die sie zur Zeit in Bern aufbaut, will Ana Vicedo-Cabrera unter anderem herausfinden, ob die Auswirkungen von Hitzewellen in den Städten auch in der Schweiz von sozioökonomischen Unterschieden beeinflusst sind.

Anregende interdisziplinäre Zusammenarbeit

Nach Bern gekommen ist die Klimawandelspezialistin nicht nur, weil sie sich hier als Leiterin einer Forschungsgruppe interessante Karriereperspektiven verspricht. Angesprochen hat sie vor allem die interdisziplinäre Ausrichtung des OCCR. «Die Zusammenarbeit über die Disziplinen und Fakultäten hinweg sehe ich als grosses Plus», sagt sie, «in London hatte ich nur losen Kontakt zu Klimaforschern, hier ist das ganz anders.» Bei der neu ins Leben gerufenen Forschungsgruppe «Climate Change and Health (C2H): Our Planet - Our Health» soll nicht nur die Zusammenarbeit innerhalb des Oeschger-Zentrums spielen. Der neue Forschungszweig wird gemeinsam vom OCCR und vom Institut für Sozial- und Präventivmedizin der Universität Bern getragen – eine Premiere: Das Oeschger-Zentrum bringt schon lange Forschende aus vier Fakultäten zusammen, doch die Zusammenarbeit mit der medizinischen Fakultät ist neu.

Noch sei den Schweizerinnen und Schweizer viel zu wenig bewusst, was der Klimawandel für konkrete Auswirkungen habe, erklärt Ana Vicedo-Cabrera beim Gespräch in ihrem frischbezogenen Büro in der Uni Mittelstrasse. «Beim Klimawandel geht es nicht nur um Gletscher und Schnee – auch in der Schweiz sollten die Menschen realisieren, dass die Folgen des Klimawandels real sind und sie häufiger unter Hitzewellen zu leiden haben.» Diverse Studien hätten gezeigt, dass Hitze in der Schweiz bereits heute gravierende Gesundheitsprobleme auslöse. «Die Folgen sind vergleichbar mit denen in südlichen Ländern wie Italien oder Spanien.» Entscheidend seien eben nicht nur die absoluten Temperaturwerte, sondern der kulturelle Umgang mit der Hitze. Weil in der Schweiz Hitzewellen ein neues Phänomen sind, wissen die Menschen noch nicht, wie man sich anpasst.

Anpassungen beim persönlichen Verhalten und bei der Infrastruktur

Persönliche Verhaltensänderungen – Massnahmen wie genügend trinken oder Anstrengungen vermeiden – reichen für die Anpassung allerdings nicht aus. In Ländern wie der Schweiz, die neu mit den Hitzefolgen konfrontiert würden, brauche es auch eine angepasste Infrastruktur: von kühlenden Wasseroberflächen, schattenspendenden Bäumen und Trinkwasserbrunnen in den Städten bis zu temperierten Arbeits- und Wohnräumen.

Mit ihrer Forschungsgruppe will Ana Vicedo-Cabrera Themen bearbeiten wie die gesundheitlichen Auswirkungen von urbanen Hitzeinseln. Und sie will mithelfen anhand von Szenarien zum Klimawandel die künftig zu erwartenden Hitzefolgen für die Schweiz zu ermitteln. Vor allem aber will sie Anpassungsstrategien entwickeln, die sich auch auf lokaler Ebene umsetzen lassen.

Anpassung ist möglich, weiss die Klimawandel-Forscherin: «Der menschliche Körper passt sich mit der Zeit der Hitze an – bis zu welchen Temperaturen das möglich ist, wissen wir allerdings nicht. Da gibt es grosse Unsicherheiten.» In Spanien, Vicedo-Cabreras Heimat, haben die Menschen offenbar mit der Hitze zu leben gelernt. In den vergangen 20 Jahren ist die Zahlt der Hitzetoten zurückgegangen. Das lege nahe, so die neue OCCR-Gruppenleiterin, dass der Mensch in der Lage sei, sich in solchen Zeiträumen steigenden Durchschnittstemperaturen und extremen Höchstwerten anzupassen. «Diesem Rückgang zum Trotz stellt Hitze immer noch einen wichtigen Umweltstressor dar, der mit erheblichen Gesundheitsbelastungen verbunden ist.»

(Oktober 2019)