Klima und Hunger im hohen Norden

Die finnische Historikerin Heli Huhtamaa schreibt einen Teil ihrer Doktorarbeit am Oeschger-Zentrum. Nach Bern gezogen hat sie die Pionierarbeit der Gruppe für Klima- und Umweltgeschichte am historischen Institut.

Finnische Medievisten haben es gut. Sie müssen nicht tagelang Archive durchwühlen, um an Informationen zu kommen. Die meisten Dokumente aus dem Mittelalter sind - wie auch in den anderen nordischen Ländern üblich - online zugänglich. "Die Anzahl schriftlicher Quellen", meint die Historikerin Heli Huhtamaa schmunzelnd, "ist bei uns ja auch eher limitiert." Und mit einem Lachen fügt die Doktorandin der University of Eastern Finnland an: "Wenn man mir in Bern sagt, wie klein die Stadt doch sei, denke ich mir: Seht euch mal bei uns in Joensuu um! Ich komme aus einer sehr dünn besiedelten Gegend."

Heli Huhtamaa ist Klimahistorikerin - eine in Finnland äusserst seltene Spezies. Der jungen Finnin wurde deshalb klar, dass sie ins Ausland gehen musste, wenn sie aus der Isolation ausbrechen und als Wissenschafterin weiterkommen wollte. "Meine erste Wahl", sagt sie, "war Bern, denn hier kann ich Ideen mit den Pionieren der historischen Klimatologie austauschen." Gemeint sind der mittlerweile emeritierte Klimahistoriker Christian Pfister und sein Nachfolger Christian Rohr, in dessen Forschungsgruppe Heli Huhtamaa gegenwärtig zu Gast ist. Sie hat die Arbeit an ihrer Dissertation für ein Jahr in die Schweiz verlegt und zwar auf Einladung des Staatssekretariats für Bildung, Forschung und Innovation, von dem sie ein "Bundes-Exzellenz-Stipendium" erhalten hat. Eine spezielle Förderung, die nur an eine Handvoll Nachwuchsforschende pro Jahr verliehen wird

Doppelausbildung als idealer Hintergrund

In ihrer Doktorarbeit geht Heli Huhtamaa, die Masterabschlüsse sowohl in Geschichte wie in Geographie gemacht hat, den Wechselbeziehungen zwischen Klima, Ernährungssystem und dem Wohlergehen der Menschen nach. Sie untersucht, wie sich in vormoderner Zeit die Widerstandsfähigkeit von Gesellschaften im Norden Europas gegen Klimaschwankungen verändert hat. Um die Beziehung zwischen Mensch und Klima nachzuvollziehen, kombiniert sie historische Dokumente mit Informationen aus Klima- und Umweltarchiven. Seesedimenten zum Beispiel, die Getreidepollen und andere Indikatoren zur Geschichte der Landnutzung enthalten. Weiteres wichtiges Quellenmaterial sind Spuren von Körnern, Tierknochen und wilden Beere, die in mittelalterlichen Siedlungsschichten erhalten. Diese sogenannten Mikro- und Makrofossilien geben nicht nur Auskunft darüber, wann welche Kulturen angebaut wurden, sondern auch wovon die Jäger und Sammler im Finnland des Mittelalters lebten. "Über die Lebensumstände dieses Teils der Bevölkerung", so die Historikerin, "geht nichts aus Dokumenten hervor."

Im Grunde genommen ist herzlich wenig darüber bekannt, wie die Menschen im Norden Europas in der Vergangenheit mit dem sich verändernden Klima zurechtgekommen sind. Genau dieser weisse Fleck in der Geschichtsschreibung reizt Heli Huhtamaa: "Allgemein geht man davon aus, dass die Gesellschaften des rauen nordischen Klimas wegen sehr verletzlich waren. Ich möchte wissen, ob dies tatsächlich so war, oder ob wir mit dieser Aussage lediglich überlieferte Geschichten wiederholen."

In ihrer Masterarbeit (Titel: "Frost, Hochwasser und Hungersnöte - Klima und Hunger in Nordosteuropa zwischen 1100 und 1500") hat die interdisziplinär interessierte Forscherin bereits erste Antworten auf diese Frage geliefert. Sie verglich die Schilderung von Hungersnöten unter anderem in Chroniken der Hansestadt Novograd mit Temperaturrekonstruktionen an Hand von Baumringen. Dabei kam sie zu folgenden Schlüssen: Das Klima wurde für die Menschen nicht zu einer Überlebensfrage solange es sich langsam wandelte, zu Hunger führten vor allem schnelle und überraschende Veränderungen. Und: Für den Hunger im Mittelalter waren auch soziale Veränderungen verantwortlich. Verletzlich wurden die Menschen paradoxerweise mit der Entwicklung der Agrarwirtschaft und der Spezialisierung, die sie zur Folge hatte. Mit anderen Worten: Jäger und Sammler wussten wohl besser mit klimatischen Extremsituationen umzugehen als sesshafte Bauern.

Gemeinsamkeiten im Umgang mit Klimakrisen

Der Austausch mit den Berner Kolleginnen und Kollegen - "Die spannendsten Diskussionen ergeben sich ganz spontan in der Kaffeepause." - hat Heli Huhtamaa vor allem in methodischer Hinsicht auf neue Ideen gebracht. In Zukunft aber möchte sie auch inhaltlich von ihrem neuen Forschungsumfeld profitieren. "Ich möchte herausfinden, ob es bei der Art wie die Menschen mit Nahrungsmittelkrisen umgingen Gemeinsamkeiten zwischen der Schweiz und Nordosteuropa gab."

Ihre persönliche Zukunft sieht die Doktorandin in der Wissenschaft. Dies allerdings wohl eher fern der Heimat. "Finnland ist für Klimahistoriker schlicht zu klein", sagt sie. Ein erster Schritt für eine internationale Laufbahn hat sie mit dem Stipendienjahr in der Schweiz bereits gemacht. Und die nächsten folgen demnächst. Die Universität Sterling in Schottland hat sie eingeladen, einen Vortrag über die mittelalterliche Mortalitätskrisen zu halten. Und am Jahreskongress der amerikanischen Gesellschaft für Umweltgeschichte kann sie 2014 in San Francisco ein Paper präsentieren.

Heli Huhtamaa Frost

Das Interesse am Klima ist kein neues Phänomen. Im Mittelalter führten die Menschen genau Buch über das Wetter und die saisonale Variabilität des Klimas. Dieser Holzschnitt illustriert die klirrend kalten Winter des Nordens. (Quelle: Olaus Magnus (1555) 'Historia de gentibus septentrionalibus'.)

Olaus Magnus Carta Marina

Die Carta Marina (1539) ist die frühste detaillierte Karte der nordischen Länder. (Quelle: Wikimedia Commons)

(2013)