Vom Datensammler zum Modellierer

Frerk Pöppelmeier arbeitet am besseren Verständnis der atlantischen Zirkulation. Er verbindet dabei sein Wissen über Umweltproxies mit den besonderen Möglichkeiten des Bern 3D Models.

Profile picture of Frank Pöppelmeier

Wenn Frerk Pöppelmeier von seinem Forschungsgebiet erzählt, muss er Laien früher oder später enttäuschen. «So einfach ist das nicht», entgegnet er, fragt man ihn, wie weit die Welt denn nun von dem Tipping Point entfernt sei, den er untersuche. Der Postdoc in der OCCR-Gruppe «Erdsystemmodelierung: Klimadynamik» forscht zum Erlahmen der atlantischen thermohalinen Zirkulation, einem der rund 15 Kippunkte, die das Klimasystem abrupt in einen neuen Zustand versetzen könnten. Das Katstrophenszenario einer gestoppten atlantischen Zirkulation war auch schon Thema von Hollywoodfilmen, denn der damit verbundene Zusammenbruch des Golfstroms könnte Eis und Kälte unter anderem über Städte wie New York aber auch über Mittel- und Nordeuropa bringen.

Melting ice shield in Greenland

Frerk Pöppelmeier hat an der Universität Heidelberg Physik studiert und anschliessend in Geowissenschaften doktoriert. Im Rahmen seiner Dissertation hat er Veränderungen in der atlantischen Zirkulation seit der letzten Eiszeit rekonstruiert. Er untersuchte dazu geochemische Proxies aus Sedimentkernen, vor allem Neodym Isotopen. Aus dem Verhältnis der verschiedenen Isotopen zueinander lassen sich Informationen über die Strömungsstärke und die Herkunft der Wassermassen im Atlantik gewinnen. Doch, so wurde sich der Nachwuchsforscher bewusst: «In unserem Forschungsbereich kommt man mit Daten alleine nicht mehr weiter. Um der Wahrheit etwas näher zu kommen, muss man Messresultate mit Modellen verknüpfen.» Am OCCR fand Frerk Pöppelmeier genau die Expertise in Klimamodellierung, die er suchte, um seine Forschung voranzutreiben.

Rekonstruktionen und Modellsimulationen in Einklang bringen

Seit er Anfang 2020 seine Postdoc-Stelle angetreten hat, arbeitet er mit dem sogenannten «Bern 3D model». Es sei «sehr effizient» programmiert betont Frerk Pöppelmeier. Will heissen: Weil das Modell keine besonders hohe Auflösung bietet, lassen sich damit umgekehrt lange Zeiträume in kurzer Zeit modellieren und zusätzliche Parameter einbauen. «Wir sind in der Lage, in den Simulationen auch die meisten geochemischen Prozesse zu berücksichtigen», sagt Pöppelmeier. Ausgerüstet mit dem nach seinen Bedürfnissen modifizierten Model, versucht er nun zu ergründen, unter welchen Bedingungen der Tipping Point der atlantischen Zirkulation erreicht wurde – oder künftig erreicht wird. «Wir untersuchen mit Hilfe des Models, wie sich die Störfaktoren auf die atlantische Zirkulation auswirken und versuchen das in Einklang mit den Rekonstruktionen zu bringen.»

Temperature simulation of the North Atlantic

Schon lange klar ist, dass die atlantische Zirkulation durch grosse Mengen zufliessendes Süsswasser abgeschwächt wird. In den vergangen 100'000 Jahren ist die Zirkulation deshalb mehrfach zusammengebrochen, am besten untersucht sind die Zusammenbrüche am Übergang der letzten Eis- in die heutige Warmzeit, also vor rund 15'000 Jahren. Doch wie genau die Zirkulation in der Vergangenheit gestoppt wurde, ist offen. Weshalb gelangte derart viel Süsswasser in kurzer Zeit in den Atlantik? Eine der diskutierten Möglichkeiten: Der Grönländische Eisschild wurde so mächtig, dass er unter dem eigenen Gewicht instabil wurde. Klar ist hingegen: Grund für das gegenwärtige schnelle Abschmelzen des Grönlandeises ist die globale Temperaturerwärmung.

Melting ice shield in Greenland

Komplexes Zusammenspiel von Prozessen

Und was bedeutet das für die Zukunft? Lässt sich vorhersagen, wann bei der atlantischen Zirkulation der Punkt erreicht ist, bei dem sie unwiderruflich in einen anderen Zustand kippt? Hier muss Frerk Pöppelmeier ausholen, denn so einfach liegen die Dinge - wie gesagt - nicht. Da ist einmal die Vielzahl von Faktoren, welche die Oberflächenzirkulation beeinflussen: vom Wind, über die Höhe des Meeresspiegels bis zum Zustand der ozeanischen Strassen – damit ist gemeint, ob zum Beispiel die Beringstrasse offen oder mit Eis bedeckt ist. Ebenfalls von grosser Bedeutung ist, in welche Richtung das Süsswasser aus Grönland im Atlantik abfliesst und wie sich umgekehrt die Zufuhr von salzigem Wasser aus dem Südozean verhält. Kommt dazu, dass sich auch Prozesse ausserhalb des Atlantiks auf diesen auswirken können. Je nachdem verstärkend oder kompensierend.  «Wie all diese Prozesse zusammenspielen und wie sie sich entwickeln, ist sehr schwierig zu sagen», gibt Frerk Pöppelmeier zu bedenken.

Satellite picture of Bering strait

Lassen sich also gar keine quantitativen Aussagen zur Zukunft der atlantischen Zirkulation machen? Doch. «Erste Indikationen zeigen», so der Geowissenschafter, «dass sich die Zirkulation in den vergangen 100 bis 200 Jahren um 15 bis 30 Prozent abgeschwächt hat.» Wann hingegen der Tipping Point erreicht sei, lasse sich vorderhand nicht bestimmen. «Dazu kennen wir die ganzen Variablen noch zu wenig.» Etwas lässt sich allerdings mit Bestimmtheit sagen: Der Zusammenbruch der der atlantischen Zirkulation ist ein «low-risk, high-impact event». Will heissen: «Die Wahrscheinlichkeit, dass es zu einem Zusammenbruch kommt ist im Vergleich zu anderen Tipping Points, wie etwa dem Verschwinden des Amazonas Regenwaldes, eher gering.» Doch der Einfluss auf das Klima der Nordhemisphäre, betont Frerk Pöppelmeier, wäre extrem gross.

(Oktober 2020)