Kämpfen für ein verrücktes Projekt

Die chinesische Umweltnaturwissenschafterin Chuxian Li hat am Oeschger Zentrum das ideale Umfeld für ein ambitioniertes Forschungsvorhaben gefunden. Sie will die Rolle des Südlichen Ozeans im Kohlenstoffkreislauf klären.

«Ich habe im Leben meistens einen Plan B», sagt Chuxian Li, «aber ich tue mein Bestes, um Plan A zu bekommen». Doch es kann auch sein, dass die Alternative das ursprüngliche Vorhaben übertrifft. So wollte die junge Chinesin eigentlich ein Marie-Curie-Stipendium für Postdoktoranden ergattern. Ihr Plan war, in Cambridge mit diesen EU-Fördermitteln über die Rolle zu arbeiten, die Westwinde in der südlichen Hemisphäre bei der Aufnahme von CO2 im Meer spielen. Schliesslich aber verschlug es sie mit einem Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds ans Oeschger-Zentrum. Und nun forscht sie in Bern an der Frage, ob der Südliche Ozean als CO2-Senke funktioniert oder als Quelle.

Soweit die Geschichte dieser ehrgeizigen Klimaforscherin im Schnellvorlauf. Doch nun schön der Reihe nach. Chuxian Li wuchs an der Küste Südchinas auf. In den einfachen Verhältnissen ihres Dorfs schien ein Studium für die meisten Jugendlichen undenkbar – erst recht für ein Mädchen. Doch Lis Familie hatte einst bessere Tage gesehen und unterstützte die Ambitionen ihrer Tochter. Also zog sie in die 30-Millionen-Stadt Chongqing und machte an der Southwest University zuerst einen Bachelorabschluss als Umweltingenieurin und danach einen Master in Umweltwissenschaften. Ihre Masterarbeit schrieb sie über die Akkumulation von Quecksilber in Zebrafischen. Wie sich zeigen sollte, hatte sie mit dem Messen von Quecksilber in der Umwelt ihr künftiges Forschungsthema gefunden.

Preis für talentierte Nachwuchswissenschaftlerinnen

An einer Konferenz in China lernte Chuxian Li einen führenden Spezialisten auf dem Gebiet kennen, der ihr anbot, in seinem Labor an der Universität von Toulouse eine Doktorarbeit zu schreiben. Sie packte die Chance, und zog 2015, ausgestattet mit einem chinesischen Stipendium, nach Frankreich. Wie förderlich ist denn, wollen wir wissen, ein PhD im Ausland für eine Karriere in China? «Das hilft sehr», sagt Chuxian Li, «vor allem, wenn man dabei mit den weltweit Besten zusammenarbeitet.» In Toulouse erlernte sie wie man Quecksilber-Isotope in Torfböden misst, einem natürlichen Umwelt- und Klimaarchiv. Der Titel ihrer Dissertation: «Holozäne Variabilität von atmosphärischem Staub und Quecksilber in der südlichen Hemisphäre». Chuxian, die sich selbst als «neugierig», «beharrlich» und «etwas crazy» charakterisiert, machte in Frankreich auch ausserhalb ihrer Universität auf sich aufmerksam. Sie erhielt 2019 einen Preis der L’Oréal-UNESCO Stiftung für talentierte Wissenschafterinnen verliehen.

Die nächste Station auf Chuxian Lis akademischer Europareise war Schweden. An der Universität für Agrarwissenschaften in Umeå arbeitete sie als Postdoktorandin in Projekten zu Quecksilber-Isotopen in borealen Torfböden und deren Rolle als Klimaarchiv. In dieser Zeit bewarb sie sich für ein heiss begehrtes Marie-Curie-Stipendium – für einmal erfolglos. Doch über Schweizer Projektpartner erfuhr sie von den neugeschaffenen SNSF Swiss Postdoctoral Fellowships als Alternative zum EU-Förderprogramm. Mit einer Erfolgsquote von lediglich 9 Prozent ebenfalls ein hart umkämpftes Stipendium. Diesmal hatte sie mit ihrem Forschungsvorhaben zur Rolle des Südlichen Ozeans im Kohlenstoffkreislauf Erfolg.

Zentrum der Paläoklimatologie

Die Universität Bern und das Oeschger-Zentrum hat Chuxian Li als Standort für ihr auf zwei Jahre angelegtes Projekt gewählt, weil sie hier «das richtige Umfeld» fand. Will heissen: Einerseits ist die nötige Infrastruktur vorhanden, um Quecksilber-Isotope zu messen, die in ihrem neuen Projekt wiederum eine zentrale Rolle spielen, und es gibt grosse Expertise in Paläoklimatologie und bei der Analyse von natürlichen Klimaarchiven. Wichtig ist für Chuxian Lis Vorhaben aber auch die Zusammenarbeit mit dem British Antarctic Survey. Von diesem Polarforschungsprogramm erhält sie Proben aus Torfböden von sechs Standorten rund um die Antarktis – von den Kerguelen über Feuerland bis zur Macquarieinsel. 

 

Diese Gebiete liegen in der Westwindzone der Südhalbkugel - ein Blick in ihre Klimavergangenheit ist für Lis Forschung zentral. Und: Es gibt dort Torfmoore, ein besonders interessantes Klimaarchiv, wenn man sich für Quecksilber-Isotope interessiert. Denn diese gelangen hauptsächlich über den Regen in den Boden, die Regenmenge wiederum hängt direkt mit der Windstärke zusammen. Mit anderen Worten: Die Quecksilber-Isotope sind ein sogenannter Proxy für Regen und damit für den Wind. «Ich werde die erste quantitative Rekonstruktion davon abliefern, wie sich sie Dynamik der Westwinde in der südlichen Hemisphäre in den vergangen 17’000 Jahren verändert hat», verspricht Li. Diese Informationen könnten entscheiden dazu beitragen, zu klären unter welchen Bedingungen der Südliche Ozean als CO2-Senke funktioniert und wann als Quelle. Denn die entscheidende Grösse für Ozeanzirkulation und Kohlenstoffkreislauf ist die Stärke des Windes.

Das Einzigartige an Lis Ansatz: Sie will den Zusammenhang zwischen Regenmengen und Windstärke mit Hilfe von Messdaten belegen – der Konzentration von Quecksilber-Isotope in den Torfbohrkernen. «Bis anhin sind dies theoretische Überlegungen», erklärt sie, «es wird nicht einfach sein, sie empirisch nachzuweisen.» Hat das bis jetzt denn niemand gemacht, wollen wir wissen. «Eben nicht!», bricht es aus Chuxian Li hervor. «Das ist eine brandneue Idee, deshalb kämpfe ich ja so für dieses Projekt». Sie strahlt.
 

 

(Januar 2023)