Sherlock Holmes und der Iffigsee

Der Umweltwissenschafter Christoph Schwörer schreibt mit Hilfe von Sedimenten aus Alpenseen Vegetationsgeschichte. Und er modelliert mit Daten aus der Vergangenheit die Waldgrenze der Zukunft.

Hier ist detektivischer Spürsinn gefragt. Wie sonst hätte Christoph Schwörer anhand von Pilzsporen belegen können, dass vor 7'000 Jahren die Menschen mit ihren Ziegen und Schafen vom Wallis über das Schnidejoch ins Berner Oberland zogen? Die Lösung des Rätsels: Der Spezialist für Vegetationsgeschichte hat in einem Sedimentkern aus dem Iffigsee unterhalb des Schnidejoch-Passes Spuren von Sporormiella entdeckt, einem Pilz, der mit Vorliebe auf Viehdung wächst. Und auch Holzkohleteilchen konnte er nachweisen – ein Indiz dafür, dass die Hirten im grossen Stil Wald abbrannten, um so mehr Weidefläche zu schaffen.

Was aber deutet darauf hin, dass es Walliser von jenseits des Passes waren, die ihre Herden am Iffigsee weideten und nicht die viel näher gelegen Oberländer? Christoph Schwörer zückt ein Pollendiagramm, auf dem er dargestellt hat, wie sich im Gebiet des Iffigsees verschiedene sogenannte kulturelle Indikatorarten verändert haben. „In Kaltphasen, wenn die Gletscher vorstiessen und das Schnidejoch nicht mehr passierbar war, tauchen in unseren Kernen weniger Pilzsporen und Holzkohlepartikel auf,“ sagt der Umweltdetektiv und beendet so seine Beweiskette elegant mit einem Negativschluss.  -  „Elementar, mein lieber Waston“, wie Sherlock Holmes sagen würde.

Interdisziplinäre Zusammenarbeit

Die Auswertung des Umweltarchivs aus dem Iffigsee ist Teil einer wissenschaftlichen Publikation, die Christoph Schwörer zusammen mit dem Archäologen und OCCR-Mitglied Albert Hafner verfasst hat. Die Kombination von Klima- und Vegetationsrekonstruktionen mit archäologischen Funden vom Schnidejoch führten zu folgender, gemeinsam entwickelter Hypothese: Das Wallis war früher besiedelt als das Berner Oberland. Doch die Berghänge waren stark bewaldet und die besten Weidemöglichkeiten boten sich oberhalb der Waldgrenze. Deshalb nahmen die Hirten den relativ einfach begehbaren Weg über das Schnidejoch zu den zusätzlichen Weidemöglichkeiten auf der Alpennordseite auf sich.

Zum ersten Mal mit dem Iffigsee Bekanntschaft machte Christoph Schwörer für seine Doktorarbeit. Nach einem Master in Umweltnaturwissenschaften an der ETH Zürich schrieb er am Oeschger-Zentrum seine Dissertation mit dem Titel „Treiber der Holozänen Vegetationsdynamik in den Nordwestlichen Schweizer Alpen“. Für diese Arbeit zog er unter anderem einen 8 Meter langen Sedimentkern aus dem in der Nähe von Lenk gelegenen See. „Mit etwas Glück kommt man mit der Sedimentanalyse bis ans Ende der letzten Eiszeit zurück, als die Alpenseen entstanden sind“, erklärt der Klimaforscher. Somit stellen Sedimentkerne aus diesen Seen ein Klima- und Umweltarchiv dar, das 12'000 Jahre zurückreicht.

Zum sprechen bringen Christoph Schwörer und seine Kolleginnen und Kollegen von der OCCR-Forschungsgruppe für Terrestrische Paläoökologie dieses Archiv, in dem sie in den Sedimenten nach Pollen und winzigen Überbleibseln von Bäumen suchen, die aus der Umgebung des Sees eingeschwemmt wurden. Darunter Samen, Nadeln, Blättern und Knospenschuppen. „Wenn wir viele Pflanzenreste einer bestimmten Art finden, gehen wir davon aus, dass der Wald mit diesen Bäumen bestückt war.“

Vegetationsmodell als Zeitmaschine

Christoph Schwörer will jedoch nicht bloss herausfinden, wie sich die Zusammensetzung und Verbreitung der Pflanzenarten im der Vergangenheit verändert hat. Ihn interessiert vor allem die Zukunft. Dazu benutzt er ein an der ETH Zürich entwickeltes Vegetationsmodell, das er mit rekonstruierten Daten aus der Vergangenheit füttert. „Das Modell dient uns als eine Art Zeitmaschine“, erklärt er, „wenn es in der Lage ist, die Auswirkungen der Temperaturschwankungen über die letzten 12'000 Jahren aufzuzeigen, können wir damit auch die künftigen Folgen des Klimawandels auf die Vegetation abbilden.“

Der Berner Forscher ist mit dem sogenannten LandClim Modell bestens vertraut. Er hat damit unter anderem während seines zweijährigen Aufenthalts an der University of Oregon in Eugene gearbeitet, wo er SNF Early Mobility Postdoc war. An seiner zweiten Postdoc-Stelle am Oeschger-Zentrum, erstellt er zur Zeit mit Hilfe von Modellsimulationen einen sehr lokalen, dafür aber umso präziseren Blick in die Vegetationszukunft. In einer seiner Studien beispielsweise simulierte er die Veränderung der Artenzusammensetzung und der Baumgrenze rund um den Iffigsee bis ins Jahr 2500. Dies in einem Radius von 5 Kilometern und praktisch Baum für Baum. Das vereinfachte Fazit dieser Simulation: Die Waldgrenze steigt erheblich, und Buchen machen sich auf Kosten der Fichten breit. Wiesen und Weiden hingegen wird es auf der alpinen Stufe immer weniger geben, denn etliche Pflanzen, so Schwörer, erhielten ein Problem. Sie sollten in die Höhe ausweichen, können dort aber nicht überleben. Der Grund: Der Temperaturanstieg verläuft viel zu schnell, als dass sich auf dem felsigen Untergrund Humus bilden könnte.

Christoph Schwörer strebt eine akademische Karriere an. In einem nächsten Schritt auf diesem anspruchsvollen Weg bewirbt er sich deshalb beim Schweizerischen Nationalfonds für ein Ambizione Projekt. In diesem Forschungsvorhaben will er Informationen aus alpinen Sedimentkernen in bisher unerreichter Gründlichkeit untersuchen. Da es am Grund der Seen nicht wärmer als 4 Grad wird, bleibt die DNA in den Pflanzenresten erhalten, und die will der Forscher nun analysieren. „Auf Grund klimatischer Veränderungen seit dem Ende der letzten Eiszeit sind die Pflanzen gezwungen, ihre Verbreitungsgebiete zu ändern. Ich möchte herausfinden, was in solchen Momenten mit der genetischen Vielfalt geschieht.“

(Dezember 2016)