Ein indonesischer Jungforscher mit Seltenheitswert

Adrianus Damanik ist ein Geologie-Doktorand am Oeschger-Zentrum – und seiner Herkunft wegen ein wichtiger Brückenbauer in einem Projekt zur Klimarekonstruktion aus Seesedimenten.

«Forscher zu sein», erklärt Adrianus Damanik mit schelmischem Lächeln, «bedeutet nicht nur, seine Zeit im Labor zu verbringen.» Der Blick aus dem Büro des jungen Geologen geht ins winterliche Länggasse Quartier. In Bern liegt Schnee, und es weht ein eisiger Wind. Mit den aufreibenden Seiten des Forscherlebens konfrontiert war der indonesische Doktorand noch vor kurzem bei tropischen Temperaturen. Er war Teil einer Feldkampagne in seiner Heimat. Eine seiner Aufgaben: Vermessungsinstrumente und schweres Gerät für die Feldarbeit durch den Zoll zu bringen. Insgesamt 1,1 Tonnen Material.

Zwei Monate später, vor der Rückreise in die Schweiz, schlug sich Adrianus Damanik in Djakarta wieder mit Beamten in Ministerien und Zoll herum, diesmal ging es um Ausfuhrgenehmigungen für Wasserproben und Sedimentkerne. Ein Spiessrutenlaufen, das mehrere Wochen dauerte, doch heute weiss Damanik: «Ich verfüge über die nötigen administrativen und sozialen Fähigkeiten für eine derartige Aufgabe.» Dass er in heiklen Momenten den richtigen Ton zu treffen weiss, hat ihn weniger erstaunt, als das Vertrauen, dass seine Vorgesetzten in ihn setzen: «Als Doktorand war ich zuständig für eine Ausrüstung im Wert von 300'000 Franken – eine Riesenverantwortung.»

Der Ölsektor hat seinen Glanz verloren

Die Geschichte des indonesischen Studenten, den es ans Oeschger-Zentrum verschlagen hat, beginnt in einem kleinen Dorf auf Nordsumatra. Seine Eltern sind Staatsangestellte, und bereits seine drei älteren Brüder studieren – viele Busstunden von zuhause entfernt. Adrianus muss für sein Studium zum ersten Mal mit dem Flugzeug reisen. Er wurde im Institut Teknologi von Bandung aufgenommen, der renommiertesten technischen Hochschule des Landes. Sie liegt auf der Hauptinsel Java. Der Junge vom Land hat sich für ein Studium in Geotechnik entschieden, was eine Karriere im indonesischen Ölsektor nahelegt. Doch nach dem Bachelorabschluss kommen ihm Zweifel. «Mir wurde bewusst, dass der Ölverbrauch in Zukunft weltweit abnehmen wird, das sind nicht eben gute Perspektiven für einen Job in diesem Sektor.»

Durch Zufall kam Adrianus Damanik dann mit einem Forschungszweig in Kontakt, der ebenfalls auf geologisches Wissen und Kernbohrtechnologie angewiesen ist, die Paläoozeanographie. Das Indonesian Institute of Sciences, das unter anderem in diesem Bereich forscht, bot ihm an, bei einer Sedimentkernbohrung im Pazifischen Ozean mitzuarbeiten. Die Untersuchung des geborgenen Kerns führte schliesslich zu Adrianus’ Masterarbeit: eine Multiproxy Analyse vergangener klimatischer Bedingungen in den Gewässern Nord-Papuas. «Ich hatte Forschungsluft geschnuppert und wollte mich unbedingt in dieser Welt weiterbewegen», fasst Damanik seine Zeit als Masterstudent zusammen. Doch dazu, so wurde im bewusst, musste er eine Doktorarbeit schreiben. Einfacher gesagt als getan in Indonesien in einer hochspezialisierten Nische wie der Paläoklimatologie.

Da kam die Ausschreibung, auf die der frischdiplomierte Geologe nach Monaten der Jobsuche stiess, wie gerufen: Ein schweizerisch-indonesisches Gemeinschaftsprojekt suchte einen lokal verwurzelten Doktoranden für die Erforschung von Klima und Umwelt der Vergangenheit in einem See auf Sulawesi. Ende 2019 unterhielt sich Adrianus Damanik via Zoom mit Hendrik Vogel, dem Leiter der OCCR Forschungsgruppe Sedimentäre Geochemie, der auch das Projekt zum Lake Poso in Indonesien leitet. Beide Seiten waren sich schnell einig und die Doktorandenstelle besetzt. «Eine andere Person mit meinem Hintergrund zu finden», meint Adrianus Damanik lapidar, «ist in Indonesien auch ziemlich schwierig.» Um seine neue Stelle antreten zu können, musste er zum ersten Mal im Leben einen Pass beantragen. Seit Sommer 2020 – mitten in der Covid-Zeit - lebt Adrianus Damanik nun also in Bern – kein einfacher Moment, um in der Fremde ein neues Leben anzufangen. Doch er fand sich bald zurecht und machte sich neue Freunde.

Feldarbeit mit lokalen Booten

Die Arbeit des Doktoranden am Oeschger-Zentrum ist jedoch eng mit seiner Heimat verknüpft, sie dreht sich um den Lake Poso, einen der grössten und tiefsten Seen Indonesiens - und ein vielversprechender Standort für paläoklimatische Studien. «Das Endziel», erklärt er, «ist eine Rekonstruktion des vergangenen Klimas in der Region.» Nicht zuletzt mit Blick auf die kurzfristigen Klimaschwankungen, das sogenannte El Niño/Southern Oscillation-Phänomen. Doch zuerst gelte es, die grundlegenden Informationen über den Lake Poso zu erheben, Angaben zu Zu- und Abflüssen, zur Wasserqualität oder zu den bathymetrischen Verhältnissen und dem Einzugsgebiet. Deshalb waren Adrianus Damanik und sein Team während der Feldkampagne im vergangenen Herbst wochenlang mit einem Fächerecholot und einem reflexionsseismischen System auf dem See unterwegs und führten bathymetrische und seismische Untersuchungen durch. Das Ergebnis hängt nun an der Wand seines Berner Büros, die erste hochaufgelöste Bathymetrie eines indonesischen Sees. Die Karte zeigt verschiedenen Blautöne. Nachtblau gefärbt ist sie in der Mitte des Sees, dort ist er 395 Meter tief.

Über die Seen seiner Heimat, bemerkt der junge Forscher etwas nachdenklich, sei noch so wenig bekannt. Geschweige denn über deren Vergangenheit, die sich an den Seedimentschichten eines Bohrkerns ablesen lässt. Dazu arbeitet der Doktorand in Bern mit modernsten Analysetechnologie, eine Infrastruktur, die sich in Indonesien schlicht kein Labor leisten kann. «Es ist ein Privileg, mit derart hochentwickelten Geräten arbeiten zu können, und ich muss noch immer sehr viel darüber lernen», erklärt er.

Und dann erzählt Adrianus Damanik, wie schwierig es manchmal sei, seiner Familie auf Sumatra zu erklären, worum es bei seiner Arbeit als Forscher eigentlich gehe. Dem blossem Erkenntnisgewinn wegen neues Wissen zu generieren, das käme den meisten Menschen merkwürdig vor. So auch seinen Eltern. Ob er im Lake Poso nicht etwa nach Gold suche, wollten sie wissen. Darauf erzählte ihnen Adrianus die Geschichte von einem verwinkelten Haus mit vielen verschieden Zimmer und fragte, ob sie als Besitzer nicht etwa auch wissen möchten, wie es in all den Zimmern aussehe. Einfach so, aus Neugier – und, um auf den Lake Poso zurückzukommen, um vom Klima der Vergangenheit für die Zukunft zu lernen.

 

(Februar 2023)