Rettungsaktion geglückt

Ein wichtiges Umweltarchiv im Kanton Bern wurde vor kurzen als Geotop unter Schutz gestellt. Für diesen einmaligen Forschungsstandort stark gemacht haben sich nicht zuletzt Forschende des OCCR.

Paläoklimatologen und Paläoökologen auf der ganzen Welt können aufatmen. Das Klima- und Umweltarchiv, für dessen Weiterbestand sie sich eingesetzt haben, wurde unter Schutz gestellt. Bei diesem Archiv von «grösster wissenschaftlicher Bedeutung» handelt es sich um das Faulenseemoos im Berner Oberland. Hier in der Nähe von Spiez wurde Wissenschaftsgeschichte geschrieben. Als weltweit erstem Forscher gelang es Max Welten, Botanikprofessor der an der Universität Bern, 1944 den jährlichen Eintrag von Pollenkörnern in Sedimenten zu quantifizieren. Er nutzte dazu die jahreszeitlich geschichteten Ablagerungen des Moors, sogenannte Warven.

Solche Jahresschichtungen sind in natürlichen Archiven wie Seen sehr selten, aber für die Forschung besonders wichtig, da sie es ermöglichen, vergangene Klima- und Umweltänderungen mit grösster Präzision zu rekonstruieren. Soweit bekannt handelt es sich beim Faulenseemoos um das einzige Moor in Europa das solche Jahresschichten aufweist. Gebildet wurden sie, als das heutige Moor - oder schweizerdeutsch Moos - noch ein See war. Die Ablagerungen am Boden enthalten sogenannte Proxys, so etwa Pollen, Kieselalgen und Insektenreste sowie Elemente und stabile Isotope, die unter anderem über die Vegetationsgeschichte Auskunft geben. Proxys zeigen Informationen über Pflanzen, Tiere und Wassersqualität, sie liefern Daten zu Temperaturen und Niederschlägen, und sie erzählen von Intensität und Art der Landwirtschaft, die unsere Vorfahren betrieben haben.

Einmaliger Forschungsstandort mit weltweiter Ausstrahlung

Für Willy Tinner, der nun dritte Nachfolger von Max Welten an der Universität Bern, Professor für Paläoökologie und Mitglied des OCCR, stellt das Faulenseemoos ein «europaweit einmaliges» Klima- und Umweltarchiv dar, und es hat für die Wissenschaft national und international «herausragende Bedeutung». Dieser «Naturschatz» wie ihn die Lokalzeitung «Berner Oberländer» nannte drohte durch die Eingriffe des Menschen zu verschwinden. Es geriet unter anderem durch die Landnutzung, den Strassenbau, sowie Gewerbe und Industrie zunehmend unter Druck. Anfang des 20. Jahrhunderts wurde es teilweise entwässert, und in den Randbereichen des Moors wurden Wohnhäuser und Lagerhallen gebaut. Die Entwässerung führte zu einer Zufuhr von Luft in den Boden und somit zum Verschwinden der in den Sedimenten gespeicherten Umweltinformation. Denn das Archiv bleibt nur so lange intakt, als es durch Wasser befeuchtet und luftdicht versiegelt ist. «Das Faulenseemoos war akut bedroht», bilanziert Willy Tinner.

Der Paläoökologe setzte sich deshalb mit anderen Mitgliedern des OCCR für dessen Erhalt ein. Ihr Plan: Das Moos als Geotop unter Schutz stellen lassen und durch Massnahmen wie eine Vernässung – sprich: Anhebung des Grundwasserspiegels – vor dem Austrocknen bewahren. Mit diesen und anderen Vorschlägen wandten sich die Forschenden bereits 2012 an die Behörden des Kantons Bern. Als danach nichts geschah, doppelten sie 2019 mit einer gross angelegten Petition zur «Umsetzung von Schutzmassnahmen» nach, die von über 100 Forscherinnen und Experten aus mehr als 20 Ländern unterzeichnet wurde. In der Petition heisst es, nicht nur die Arbeiten des Pioniers Welten hätten das Faulenseemoos in der Wissenschaftscommunity weltweit berühmt gemacht. Unterstrichen werde seine Einzigartigkeit durch Folgestudien, in denen mit neuen Methoden weitere wichtige Forschungserkenntnisse über ökologische Prozesse in der Vergangenheit gewonnen worden seien.

Hohe Bussen tragen zum Schutz des Geotops bei

Nun sind die Forschenden ihrem Ziel ein gutes Stück nähergekommen. Das kantonale Amt für Landwirtschaft und Natur hat das Faulenseemoos auf Ende Januar 2024 mit einer Verfügung vorsorglich unter Schutz gestellt. Und unterstreicht dessen Bedeutung mit drastischen Strafen. Der behördliche Entscheid sieht Bussen von bis zu 100’000 Franken vor – unter anderem wenn im Moos weiter gegraben, gebaut oder entwässert wird. Die landwirtschaftliche Nutzung hingegen bleibt im bisherigen Umfang erlaubt.

Gegenwärtig laufen im nun geschützten Geotop keine wissenschaftlichen Untersuchungen. «Künftig aber sind neue Projekte und Erkenntnisse möglich», so Willy Tinner, «deshalb wollen wir das Gebiet ja schützen». Allem Engagement zum Trotz kann inzwischen nicht mehr das ganze Faulenseemoos als Umweltarchiv genutzt werden – in gewissen Bereichen sind die Warven bereits unwiederbringlich verschwunden. Umso erfreulicher ist der späte aber hoffentlich wirkungsvolle Entscheid des Kantons Bern, das einmalige Geotop für künftige Generationen zu bewahren.

(März 2024)