Antarktis Live

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Berner Forscher auf grosser Antarktis-Fahrt

Der Geologe Samuel Jaccard ist zur Zeit auf einem Forschungsschiff im südlichen Eismeer unterwegs. Er  untersucht wie im Meer Kohlendioxid  aus der Atmosphäre aufgenommen wird. Dazu holt er unter anderem Wasserproben aus einer Tiefe von bis zu 2000 Metern.

Etwas darf im Reisegepäck auf keinen Fall fehlen: Pillen gegen Seekrankheit. Samuel Jaccard, der unter anderem mit Tiefseebohrkernen arbeitet, war zwar schon mehrmals auf hoher See unterwegs und fühlte sich puddelwohl dabei - aber diesmal wird alles anders. Während 28 Tagen reist Jaccard von Hobart in Tasmanien entlang der Küste des antarktischen Kontinents nach Punta Arenas an der Südspitze von Chile. Bei stürmischem Wetter sind er und seine 50 Kolleginnen und Kollegen an Bord des russischen Forschungsschiffs extremen Bedingungen ausgesetzt: 10 bis 15 Meter hohe Wellen, Wasserwalzen so hoch wie ein vierstöckiges Haus.

„Auf keiner meiner früheren Expeditionen waren wir derart vom Wetter abhängig, wie jetzt im Südlichen Ozean“, sagt Samuel Jaccard, der am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung die Gruppe für Paläozeanographie und marine Biogeochemie leitet. Doch Wind und Wetter können auf der Fahrt entlang der Antarktis nicht nur die Forscher an ihre Grenzen bringen, sie machen auch die wissenschaftliche Arbeit an Bord unvorhersehbar.

Schweizer Polarforschung neu lanciert

Samuel Jaccard ist mit seinem Projekt Teil eines grossangelegten Forschungsvorhabens, der Antarctic Circumnavigation Expedition (ACE). Diese Antarktis-Umrundung wird vom Swiss Polar Institute (SPI) durchgeführt, einem Konsortium von Schweizer Wissenschaftsinstitutionen, das 2016 gemeinsam von den beiden ETH, der Eidgenössischen Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), der Universität Bern und dem Unternehmer und Mäzen Frederik Paulsen gegründet wurde. Zum Auftakt seiner Tätigkeit lancierte das SPI eine international ausgeschriebene Expedition, die in drei, je einen Monat dauernden, Etappen die Antarktis umrundet. Für die Teilnahme wurden aus 100 eingereichten Forschungsprojekten 22 Vorschläge ausgewählt, vier davon aus der Schweiz, und neun weitere mit Schweizer Partnern.

Als der Berner SNF Professor Jaccard am 20. Januar in Hobart für die zweite Etappe der Antarktis-Umrundung auf der Akademik Treshnikov einschiffte, wusste er bereits, was ihn erwartete. Er war schon im Dezember in Bremerhaven an Bord des Eisbrechers gewesen, als das 130 Meter lange Schiff beladen wurde. Dort konnte er unter anderem feststellen, dass für das leibliche Wohl der Expeditionsteilnehmer gesorgt sein würde. Doch viel wichtiger: Jaccard versicherte sich, dass die drei Laborcontainer, in denen er und seine Projektpartner ihre Experimente durchführen, tatsächlich Antarktis-tüchtig auf Deck installiert wurden. Will heissen: Fest mit dem Schiff verschweisst, denn nur so ist sicher, dass die Container nicht über Bord gespült werden.

Eisenmangel im Südlichen Ozean

Seit Jahren beschäftigt sich der Geologe Samuel Jaccard mit der Frage, wie im südlichen Eismeer rund um die Antarktis Kohlendioxid (CO2) aus der Atmosphäre aufgenommen wird und ob der Südliche Ozean künftig als Treibhausgassenke oder als –quelle funktioniert. Für das Weltklima ist dies von grosser Bedeutung, denn obwohl der Südliche Ozean lediglich 10 Prozent der Meeresoberfläche darstellt, nimmt er gegen die Hälfte alles CO2 auf, das aus der Atmosphäre in den Ozean eingelagert wird.

Durch welche Prozesse CO2 ins Meer gelangt, ist bekannt. Es wird im Wasser gelöst und danach von Phytoplankton – das heisst verschiedenen Algenarten – mit Hilfe der Photosynthese in organisches Material umgewandelt. Sterben die Algen ab, wird das CO2 wieder freigesetzt. Ein Teil davon sinkt in die Tiefen des Meers ab, wo es langfristig gespeichert wird. Dieser Mechanismus im Austausch zwischen Atmosphäre und Ozean wird als „biologische Pumpe“ bezeichnet. Im Südlichen Ozean allerdings gibt den Forschern ein besonderer Umstand Rätsel auf: Eisen, das den Umwandlungsprozess der Algen unterstützt, ist im Meerwasser nur in sehr tiefen Konzentrationen gelöst.

Hier nun setzt Jaccards ACE-Projekt an. Auf der 9'000 Kilometer langen Reise von Tasmanien nach Chile soll im Containerlabor vor Ort untersucht werden, durch welche Algenarten das Phytoplankton an unterschiedlichen Stellen zusammengesetzt ist und wie sich eine Düngung mit Eisen auf den CO2-Umwandlungsprozess auswirkt.

Wasserproben aus der Tiefsee

In einem zweiten Projektteil wollen Jaccard und seine Kollegen herausfinden, wie viel des in der obersten Meeresschichten produzierten Phytoplanktons in die Tiefe absinkt – und mit ihm das eingelagerte CO2. Dazu werden die Forscher mit einer sogenannten Rosette entlang der Reiseroute Wasserproben bis in eine Tiefe von zwei Kilometern entnehmen. Möglich ist dies nur bei gemässigtem Seegang. Doch die eigentliche Herausforderung stellt sich den Forschern, wenn sie die Proben zum Transport in ihre heimischen Labors umgiessen – Samuel Jaccard hat dazu 500 Flaschen auf die Akademik Treshnikov mitgebracht. Das Tiefenwasser darf auf keinen Fall mit Eisenpartikeln kontaminiert werden, und die sind auf einem Schiff allgegenwärtig. Einer der drei Laborcontainer ist deshalb als Reinraum ausgestattet, und die Forscher hantieren in Schutzanzügen.

Wenn alles nach Plan läuft, wird Samuel Jaccard von seiner Antarktis Expedition Meerwasser von 30 Messstellen aus jeweils 12 unterschiedlichen Tiefen zur Analyse in sein Labor an der Berner Balzerstrasse nachhause bringen. Doch wie im warmen Büro ausgedacht, lassen sich die Dinge vor Ort auf dem Forschungsschiff kaum an. „Wir haben vor der Abreise zwar einen provisorischen Messplan erstellt“, sagt der Geologe, „aber der wird sich aus logistischen und meteorologischen Gründen laufend ändern.“ Neben einem robusten Magen sind auf hoher See also auch Flexibilität und viel Improvisationsgeschick gefragt.