Der Eiskernspezialist mit dem langen Atem

Hubertus Fischer ist einer der wenigen Forscher, die im Lauf ihrer Karriere gleich zwei Mal mit einem prestigeträchtigen „ERC Advanced Grant“ des europäischen Forschungsrats ausgezeichnet wurde. Ziel des geförderten Projekts: eine neue Analysetechnik zur Untersuchung des ältesten Eises der Erde.

Daunenjacken im Doppelpack, Gesichtsmaske und vereiste Augenbrauen: Die Webseite von Hubertus Fischer zeigt den Klimaforscher im Polareis. Es ist bereits einige Jahre her, seit diese Aufnahme entstanden ist, denn so sehr dem Physiker die Feldarbeit in Antarktis und Grönland zusagt, seine Verpflichtungen als Professor und in verschiedenen Forschungsorganisation lassen ihm kaum noch Zeit für monatelange Aufenthalte im Eis. Doch das soll sich wieder ändern: „Wenn es beim ‚Oldest Ice Project’ mit den Bohrungen losgeht, will ich unbedingt dabei sein, da will ich noch einmal eine Saison in der Antarktis verbringen.“

Der Oeschger-Zentrum-Forscher Hubertus Fischer ist einer der Hauptakteure dieser internationalen Initiative, die einen Kern aus dem ältesten Eis der Erde bohren und so Klimainformationen über die vergangen 1,5 Millionen Jahre erhalten will. Der tiefe Blick in die Klimavergangenheit soll insbesondere zum besseren Verständnis des Wechselspiels zwischen Warm- und Kaltzeiten beitragen. Vor rund einer Million Jahren - das zeigen Untersuchungen von Meeressedimenten - fand eine dramatische Veränderung dieses Hin und Hers statt. In der Zeit vor ca. 900,000 Jahren wechselten sich Eiszeiten und Warmphasen alle rund 41'000 Jahre ab, danach nur noch alle 100'000 Jahre. Weshalb es zu diesem Wandel kam, ist ein Rätsel, doch die Klimaforschung vermutet, dass Treibhausgase dabei eine entscheidende Rolle spielten. Diese Vermutung soll nun eine Eiskernbohrung in der Antarktis bestätigen, die beinahe doppelt so weit zurückreicht, wie das älteste bisher analysierte Eis. Eiskerne sind ein besonders ergiebiges Klimaarchiv, denn nur sie enthalten die Luft der Vergangenheit, die es ermöglicht vergangene Treibhausgaskonzentrationen direkt zu messen.

Stark komprimiertes Eis in 2500 Meter Tiefe

Der ERC Beitrag von Hubertus Fischer zum Oldest Ice Project: Er entwickelt zusammen mit seinem Team ein völlig neues Analyseverfahren. Das Besondere daran: Alle Treibhausgase könne mit einer einzigen Analyse gleichzeitig gemessen werden. Mehr noch, die aus den Eisproben extrahierte Luft geht bei den Messungen nicht verloren, sondern kann danach für weitere Forschungsarbeiten verwendet werden. Von „perfektem Recycling“ spricht Hubertus Fischer und sagt: „Für einen gewöhnlichen Eiskern würde sich der Riesenaufwand, den wir dazu betreiben müssen, nie rechtfertigen.“ Für das älteste Eis der Erde, in dem die verfügbare Menge des Eises extrem knapp ist, hingegen schon.

Das zwischen 30 und 50 Millionen Euro teure „Oldest Ice“ Projekt will bis auf den Felsgrund unter dem antarktischen Eisschild bohren, ungefähr 2,5 Kilometer tief. Das eigentliche Interesse der Forscher aber gilt dabei den untersten 50 bis 100 Metern, und dort ist das Eis extrem komprimiert. Auf wenigen Zentimetern des Bohrkerns, so erwarten die Forscher, werden Informationen über mehrere Tausend Jahre Klimageschichte gespeichert sein. Das bedeutet: Wer dieses Archiv zeitlich hochaufgelöst Schicht für Schicht nutzen will, muss mit winzigen Mengen der im Eis enthaltenen atmosphärischen Gasen auskommen.

Neue Messtechnologien bringen die Forschung weiter

Noch gibt es dieses zerstörungsfreie Messverfahren aber nicht. Doch Hubertus Fischer hat klare Vorstellungen davon, wie es funktionieren soll. Um diese Ideen in die Tat umsetzen zu können, hat er soeben einen begehrten „ERC Advanced Grant“ erhalten. Es ist bereits das zweite Mal, dass der Berner Klimaphysiker mit einen Förderbeitrag für Spitzenforschung durch den Europäischen Forschungsrats (ERC) ausgezeichnet wurde. Der Stellenwert neuer Messtechnologien für die Forschung, so der Professor für experimentelle Klimaphysik, könne gar nicht hoch genug eingeschätzt werden: „In den Geo- und Atmosphärenwissenschaften kommt man meist erst dann einen Schritt weiter, wenn man technisches Neuland betritt und wenn es gelingt Dinge zu messen, die sich bis anhin nicht messen liessen. Denn nichts führt an harten und verlässlichen Daten vorbei.“

Der entscheidende Unterschied von Fischers Projekt deepSLice («Deciphering the greenhouse gas record in deepest ice using continuous sublimation extraction/laser spectrometry») zu früheren Methoden ist, dass erstmals sowohl die Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid, Methan und Lachgas als auch die isotopische Zusammensetzung des Kohlendioxids mit nur einer einzigen Messung an der gleichen Probe bestimmt werden können. Dazu braucht es einerseits ein neues spezielles Messgerät und andererseits müssen neue Methoden zur Aufbereitung des Probenmaterials entwickelt werden. Beim Messgerät setzt das Projekt auf sogenannte Quantenkaskadenlaser-Technologie, bei der zwei Laser dieselbe Probe mit unterschiedlichen Frequenzen beschiessen, um die Absorption des Laserlichts durch die Treibhausgase zu messen. Im Rahmen von „deepSLice“ wird ein solches Gerät zusammen mit dem Projektpartner Empa (Eidgenössische Materialprüfungs- und Forschungsanstalt) entwickelt, dass solche Messungen an Luftproben von gerade mal 1 ml ermöglicht.

Die Alchemie der Probenaufbereitung

Mindestens ebenso wichtig, wie das eigentliche Messgerät, wird für die Analyse des ältesten Eises aber, dass sich die darin enthaltene Luft möglichst schonend freisetzen lässt, ohne dass sie in der Extraktionsanlage oder durch chemische Reaktionen aus dem Eis selbst verunreinigt wird. „Die Kunst, die Alchemie, dabei“, sagt Hubertus Fischer mit verschmitztem Lächeln, „steckt in der Extraktion. Das ist unsere Stärke, dafür sind wir weltweit die Spezialisten.“ Die Apparatur, die Fischer und sein Team, zur Extraktion der 1,5 Millionen Jahre alten Luft bauen wollen, funktioniert stark vereinfacht so: Das Eis wird mit Infrarotlicht bestrahlt und dadurch sublimiert, dann wird der Wasserdampf an einer kalten Fläche ausgefroren und zurück bleiben schliesslich nur noch die Bestandteile der atmosphärischen Luft.

In Hubertus Fischers Büro steht eine merkwürdige, aus einer Art Wegweiser zusammengebaute Skulptur. Sie ist einem der „Totems“ nachempfunden, an denen Expeditionsteilnehmer in polaren Forschungsstationen ein Schild anbringen, das die Distanz zu ihrer Heimat angibt. Fischers Büroversion ist 2008 für eine Informationsveranstaltung an der Uni Bern entstanden und zeigt die Standorte all seiner europäischen Eiskern-Partner. Auf einem der Wegweiser steht „Oldest Ice, Antarktis“, in Rot und mit Fragezeichen versehen. „Da sieht man“, meint der Forscher, „wie lange ich schon über dieses Projekt nachdenke.“

Tatsächlich braucht dieses Vorhaben einen ausgesprochen langen Atem. Wenn alles gut läuft, findet die erste Bohrsaison 2019 und 2020 statt. Und bis der unterste Teil des Eiskerns gehoben ist und untersucht werden kann wird es wohl 2022. „Das Gerät, das wir im Rahmen von ‚deepSLice’ bauen, wird in der Laufzeit des Projekts kein ältestes Eis sehen“, sagt Hubertus Fischer, „doch wenn die Bohrung dann beginnt, muss alles fertig und getestet sein, und wir wollen mit der perfekte Analytik bereitstehen.“
(2015)