Sie bringt Tropfsteine zum Sprechen

Die Paläoklimatologin Franziska Lechleitner steigt in Höhlen und untersucht Tropfsteine, um klimatische Veränderungen der Vergangenheit aufzuschlüsseln. Jene zum Beispiel, die vor 1100 Jahren möglicherweise zum Untergang der Maya-Hochkultur beitrugen.

Jaguar-Pranke wird die Höhle im Dschungel von Belize genannt. Das tönt bedrohlich, und tatsächlich liess sich die Berner Forscherin Franziska Lechleitner auf ihrem Arbeitsweg in die Yok Balum Höhle im Süden des mittelamerikanischen Landes jeweils von einem Führer mit Machete begleiten. Allerdings weniger der Raubtiere als der Giftschlangen wegen. Ihre Feldarbeit führt die Paläoklimatologin regelmässig in Höhlen auf der ganzen Welt. Der Grund: Stalagmiten oder Tropfsteine sind ein ausgezeichnetes Umweltarchiv, mit dessen Hilfe sich das Klima der Vergangenheit rekonstruieren lässt.

Im Vergleich mit anderen Höhlen, in die Franziska Lechleitner bereits eingestiegen ist, stellte die Yok Balum keine grossen technischen Herausforderungen. Bei anderen Expeditionen war schon deutlich mehr Mut gefragt. «Beim Abseilen», gesteht sie, «habe ich noch immer Herzklopfen». Sie sieht sich denn auch nicht primär als Höhlenforscherin. «Höhlen sind wunderschöne Orte und ihre Entstehung ist faszinierend, trotzdem gehe ich vor allem in Höhlen, um Klima- und Umweltprozesse besser zu verstehen.»

In der Yok Balum Höhle hat Franziska Lechleitner nicht etwa nach Stalagmiten gesucht – die Tropfsteinproben, die sie im Labor in Bern untersucht, stammen von einem Exemplar, das bereits vor rund 20 Jahren aus der Höhle gehoben wurde -, sondern sie erforschte die Infiltration. Denn wer verstehen will, wie Umweltinformationen in Stalagmiten gelangen, muss wissen, woher und wieviel Wasser in eine Höhle sickert und dort mit seinen Ablagerungen die Tropfsteine bildet. Die Berner Forscherin interessiert sich dabei vor allem für den eingebrachten Kohlenstoff, ihr Thema ist der Kohlenstoffkreislauf in Höhlen – und damit indirekt die Veränderungen im Ökosystem an der Erdoberfläche. Denn der Kohlenstoff stammt vor allem aus dem Boden oberhalb der Höhle und wird mit Regenwasser eingeschwemmt.

Eine auf Tropfsteinen gebaute Karriere

Mit Hilfe der Stalagmiten-Analyse lässt sich unter anderem nachvollziehen, wie sich die Niederschläge in Belize im Laufe der Zeit verändert haben. «Für die lokale Landwirtschaft ist der Zeitpunkt der Regenfälle sehr wichtig», betont Franziska Lechleitner. «Mit Blick auf den Klimawandel spielt das bessere Verständnis des vergangen Niederschlagsregimes auch für die Zukunft von Belize eine grosse Rolle.»

Wie ihre Untersuchungsobjekte aussehen, zeigt die Paläoklimatologin in ihrem Büro in der Uni Muesmatt anhand einer Stalagmiten-Probe aus Indien: ein nur wenige Millimeter dicker, geschliffener und in Epoxiharz eingebetteter Längsschnitt. Deutlich sind von blossem Auge die einzelnen Lagen des Tropfsteins zu erkennen. Um sie datieren und stabile Kohlenstoffisotope bestimmen zu können, braucht es nicht mehr als 150 Mikrogramm Material.

Dass sich in der wissenschaftlichen Karriere von Franziska Lechleitner alles um Tropfsteine dreht, hat auch mit Zufall zu tun. Während ihrer Zeit als Studentin des Masters «Atmosphäre und Klima» an der ETH hörte sie einen Vortrag über Stalagmiten als natürliche Klimaarchive, der sie derart faszinierte, dass sie beschloss ihre Masterarbeit in diesem Bereich zu schreiben. Danach führte das eine zum anderen. Die Paläoklimatologin doktorierte – ebenfalls an der ETH - mit einer Studie zum Kohlenstoffzyklus in Karstsystemen und zu den in Stalagmiten eingebauten Kohlenstoffisotopen. Diese lassen sich als indirekte Anzeiger des vergangenen Klimas nutzen. Dann verbrachte sie drei Jahre als Postdoktorandin an der University of Oxford und erhielt, zurück in der Schweiz, ein prestigeträchtiges Ambizione Stipendium des Schweizerischen Nationalfonds.

Oeschger-Zentrum zieht wissenschaftlichen Nachwuchs an

Als Standort, um mit diesen Förderbeiträgen ein eigenes Forschungsprojekt durchzuführen, wählte die ehrgeizige Nachwuchsforscherin die Universität Bern. Hier fand sie am Labor zur Analyse von Radiokohlenstoff mit AMS (LARA) die Messtechnologie, die sie für ihr Vorhaben benötigte und am Oeschger-Zentrum für Klimaforschung attraktive Möglichkeiten, sich disziplinenübergreifend zu vernetzen. «Es gibt in dieser Klima-Community ein grosses Potenzial an Partnern zur Zusammenarbeit.»

Auch in Franziska Lechleitners Ambizione-Projekt geht es, wie könnte es anders sein, um Stalagmiten und um darin eingelagertes organisches Material. Das Ziel: Erstmals sowohl Veränderungen im vergangenen Klima wie in lokalen Ökosystemen zu rekonstruieren. Tropfsteine als Klimaarchive eröffnen nicht nur derartige neuen konzeptionellen Möglichkeiten, sie erlauben auch zeitlich hochaufgelöste Rekonstruktionen. Die Stalagmiten aus Belize etwa lieferten für die vergangenen 2'000 Jahre Daten in jahreszeitlicher Abfolge.

Und dann hat die Arbeit mit diesem Klimaarchiv auch ganz praktische Vorteile: Die Arbeit mit Tropfsteinen ist verglichen etwa mit Eisbohrkernen – einem anderen Klimaarchiv – nicht sehr aufwändig. «Da braucht es keine Millionen teure Expeditionen», sagt Franziska Lechleitner, «die Projekte sind schlanker organisiert, und man hat mehr Freiheiten, Dinge auszuprobieren.» Und noch etwas: Das Feld der Stalagmitenforschung ist relativ jung und die Community von Forschenden in diesem Feld noch klein. «Man kennt und hilft sich», so Franziska Lechleitner. Es sei zum Beispiel kein Problem, von Kolleginnen und Kollegen Proben von Stalagmiten für seine eigene Forschung zu erhalten.

Neue Erklärung für Niedergang der Maya-Kultur

Und schliesslich sind Stalagmiten manchmal auch für aufsehenerregende Nachrichten gut. «Rückgang der saisonalen Vorhersagbarkeit destabilisierte möglicherweise die klassischen Maya-Gesellschaften» lautete der Titel einer kürzlich veröffentlichen Studie, an der auch Franziska Lechleitner beteiligt war. Sie steuerte Resultate aus der Yok Balum Höhle bei, die in einem der ehemaligen Kerngebiete der Maya-Kultur liegt. In der Studie wird argumentiert, dass einer der Gründe, die dazu geführt hatten, dass die hochentwickelten Maya-Städte vor etwa 1100 Jahren aufgegeben wurden, eine spezielle Klimaveränderung war.