Warum der Berner Blick auf die Atmosphäre nicht durch Wolken verstellt wird

Der Physiker Klemens Hocke misst von einem Uni-Dach aus Ozonwerte in der Atmosphäre. Sie sind so genau, dass damit die Messgeräte von Satelliten geeicht werden. Und er weiss auch bestens über Orkane in 50 Kilometer Höhe Bescheid.

Das Stopfen des Ozonlochs verspricht zu einer der grossen Erfolgsgeschichten der internationalen Umweltdiplomatie zu werden. Das Montreal-Protokoll, mit dem 1987 ozonschädigende Substanzen wie die als Treibmittel in Sprühdosen verwendeten FCKW verboten wurden, zeigt Wirkung. Ab 1994 stabilisierte sich die Ozonschicht auf der Talsohle und seit der Jahrtausendwende konnte sogar eine leichte Zunahme des Ozons festgestellt werden. Für eine Entwarnung allerdings ist es noch zu früh. "Die Forscher streiten sich darüber, ob man tatsächlich schon von einer Erholung der Ozonschicht sprechen kann", sagt Klemens Hocke. Er ist Dozent am Institut für angewandte Physik (IAP) und Leiter der Gruppe für Atmosphären--Prozesse des Oeschger-Zentrums - und er ist selbst Teil dieses Erfolgs, ein Bisschen wenigstens.

Der Physiker ist verantwortlich für die Ozonmessungen, die das IAP der Universität Bern zu einem wichtigen Bestandteil des Messnetzes gemacht hat, das die Verteilung des Ozons in der Atmosphäre überwacht. Das spezielle Messgerät, das dabei zum Einsatz kommt, wurde in Bern von Niklaus Kämpfer, dem Leiter der Abteilung für Mikrowellenphysik, und seinen Mitarbeitern entwickelt. Seit 1994 erstellt es stündlich ein Ozonprofil in einer Höhe von 20 bis 65 Kilometern - eine lückenlose Messreihe, die weltweit ihresgleichen sucht und einen Trend zur Erholung der Ozonschicht belegt.

Umzug von Japan nach Bern

Seit 2005 ist Klemens Hocke für diese Ozonmessungen verantwortlich. Viel Vorwissen, so erzählt er freimütig, habe er nicht mitgebracht, als er seine PostDoc-Stelle in Bern antrat. "In ein neues Gebiet reinzukommen, war aber genau das, was mich an dieser Aufgabe reizte." Sein Diplom hatte er in Bochum in Astronomie gemacht und seine Dissertation in Göttingen zur Ionosphäre geschrieben. Danach forschte Klemens Hocke zur Dynamik in der oberen Atmosphäre. Unter anderem in Japan, wo er drei Jahre als PostDoc verbrachte und Radar- sowie GPS-Geräte zur Untersuchung seines Forschungsgegenstands in 100 Kilometer Höhe einsetzte.

Aktive Fernerkundung nennt sich diese Messmethode. Die Berner Forscher hingegen arbeiten mit passiver Technologie, sie setzen dabei sogenannte Mikrowellenradiometer ein. Der grosse Vorteil dieser Art von Fernerkundung: Sie funktioniert Tag und Nacht und ermöglicht Messungen auch bei Regen und dicksten Wolken. Das Gerät misst die Strahlung, die von Ozon- aber auch von Wasserdampfmolekülen ausgesendet wird, und liefert so Informationen über deren Konzentration und Temperatur.

Das in Bern ersonnene und ständig weiterentwickelte Gerät trägt das Kürzel GROMOS (GROund-based Millimeter wave Ozone Spectrometer) und besteht aus einer Antenne und viel Elektronik für die Verstärkung des äusserst schwachen Signals aus der Atmosphäre. Installiert ist die Anlage auf dem Gebäude für Exakte Wissenschaften der Universität, wo in einem Dachaufbau auch gleich die Verarbeitung der Signale erfolgt. Eine hochkomplexe Angelegenheit, an deren Ende eine mehrfarbige Kurve auf einem Monitor steht - die kalibrierte Linienstrahlung von Ozon bei einer Frequenz von 142 GHz.

Kreative Forschung fördern

Klemens Hocke, der nach Bern kam um die Geheimnisse dieser Messapparatur kennenzulernen, hat parallel dazu auch seine akademische Karriere vorangetrieben. Er hat habilitiert, ist Privatdozent geworden, hält heute Vorlesungen zu Atmosphärendynamik und forscht zusammen mit seinem eigenen Team von Doktorierenden. Dabei geht es zwar auch um Ozon - doch in für Aussenstehende ziemlich exotischen Bereichen. Untersucht wird zum Beispiel, welche Auswirkungen der Eintritt eines Meteoriten in die Atmosphäre auf das Gas hat, oder wie die Ozonschicht auf anderen Planeten beschaffen ist. "Das gibt uns die Freiheit, ganz andere Ideen durchzuspielen, die sich am Schluss wieder auf die Erdatmosphäre anwenden lassen", unterstreicht Klemens Hocke die Bedeutung solcher Projekte. "Das ist extrem wichtig für die Kreativität." Doch, so stellt der Ozonspezialist klar, diese Aspekte sind nur ein Randgebiet; im Zentrum seiner Forschung steht neues Wissen über das Ozon in der Erdatmosphäre.

Das Ozonspektrometer ist übrigens nur eines einer ganzen Palette von Messgeräten, mit denen sich die Berner Forschenden in der Fachwelt einen hervorragenden Ruf erworben haben. Sie messen damit auch die Konzentration von Wasserdampf - dem wichtigsten natürlichen Treibhausgas - sowie die atmosphärischen Temperatur- und Windverhältnisse. In 50 Kilometer Höhe sind Windgeschwindigkeiten von 360 Stundenkilometer gang und gäbe und zwar nicht etwa bloss als Spitzenwerte. "Im Winter kann der Wind eine ganze Woche lang so stark wehen."

Eines haben all diese Messungen gemeinsam: Sie werden von der Erdoberfläche aus und mit Hilfe der erwähnten Mikrowellenradiometern gemacht. Eine Technologie, die weltweit nur in einer Handvoll weiterer Messstationen angewendet wird. Eine eigentliche Berner Exklusivität sind mobile Geräte, die bei Messkampagnen an vielen abgelegenen Orten in der Welt eingesetzt werden. Auch ein mobiles Ozonspektrometer entwickelt die Gruppe für Atmosphären-Radiometrie zur Zeit.

Bodenstationen helfen den Satelliten

Von zentraler Bedeutung für die Beobachtung der Ozonschicht sind die Messdaten von Klemens Hocke und seinen Kollegen, weil sie in ein internationales Netzwerk zur Überwachung der Atmosphäre einfliessen - und weil sie so zuverlässig sind, dass mit ihrer Hilfe die von Satelliten aus gemessenen Ozonwerte validiert werden. Bodenstationen sind auch wichtig, weil Satelliten bloss eine Lebensdauer von fünf bis zehn Jahren haben. Deshalb entstehen in den langfristigen Messreihen aus dem All immer wieder Lücken, die dann unter anderem mit den Berner Messungen überbrückt werden können.

Und noch einen entschiedenen Vorteil hat die Berner Technologie: Sie ist relativ günstig. "Unsere Messmethode ist so preiswert und die Daten, die wir damit erheben sind von so grosser Bedeutung", meint Klemens Hocke, "dass ich mich frage, weshalb nicht noch mehr Geräte davon auch an anderen Orten auf der Welt stehen."

(2013)